Meine meist-erzählte Story

Da ich in meinem Gesicht eine relativ präsente Narbe trage, werde ich ab und zu darauf angesprochen. Je nachdem, wer mich anspricht, erzähle ich die lange oder die kurze Version der Geschichte dahinter. Ihr lieben Besucher*innen meines BLOGS kriegt die absolut längste Version zu lesen.

Hier mal 3 Bilder, die die gesamte Geschichte einerseits ganz gut klammern, aber auch – wie ich finde – nett anteasern.

DIE STORY

Bei Reiseländern ist es ja so: Manche sind sicher und schön. Die Erlebnisse dort sind herrlich, aber etwas substanzlos. Und dann sind da die Destination bei denen das Risiko so richtig in der Scheiße zu landen um ein Vielfaches größer ist, aber auch die Chance eine absolut unvergessliche Zeit zu erleben.

Diese Geschichte handelt (leider) von erstem Fall und hat sich so 2012 in Indonesien zugetragen.

Indo, wie wir coolen Surfer:innen sagen, ist so ein Land, das für den reisenden Westler den Himmel genauso parat hält, wie die Hölle. Als ich in München in den Flieger nach Bali stieg, zeigten eigentlich alle Vorzeichen auf “Himmel”. Viele richtig gute Freunde und nahe Bekannte waren auch in der Gegend unterwegs und ich erwartete die perfekte Mischung zwischen Single-Missions und wunderschöner Rudelbildung fernab der heimischen Gefilde. Es sollte anders kommen. Ganz anders.

Bereits die erste Surf-Session ging nach hinten los. Ich besuchte ein befreundetes deutsches Pärchen, das gerade in Canggu abhing. Mein Freund, ein sehr guter Wasserballer und absoluter Waterman, überredete mich gleich zur ersten Session mit ihm zu einem Spot hinaus zu paddeln, der “Boomers” hieß. Der Spot hieß nicht so, weil lediglich Ü60 Leute dort surften, sondern weil er nur bei sehr großen Wellen funktionierte und ordentlich “BOOOM” machte. Wir paddelten eine gute halbe Stunde hinaus und ich sah mir die Welle zunächst mit großem Respekt aus der sicheren Distanz an. Schließlich traute ich mich, eine erste Welle anzupaddeln. Ich drückte mich hoch und schoss das Wellen-Face hinab. Spätestens jetzt merkte ich, dass ich einfach noch nicht die Fitness hatte, solche Wellen zu surfen und einen Tick zu spät dran war. Ich wurde gewaschen. Das alleine war schon nicht angenehm. Was aber viel schlimmer war, war das Gefühl an meinem rechten Knöchel. Denn dort, wo normalerweise mein Brett über eine Leash mit mir verbunden ist und zerrt, war von einem Moment auf den anderen: Nichts. Ich hatte mein Brett verloren … und das viele hundert Meter vom sicheren Strand entfernt und bei mehr als ordentlichem Wellengang. Ich war zugegebenermaßen etwas unter Schock. Nachdem ich noch 2-3 riesige Wellen auf die Mütze bekommen hatte, schaffte ich es in den sogenannten Channel (den Bereich, in dem keine Wellen mehr brechen). Mein Freund paddelte zu mir und gab mir sein Brett, damit ich mich festhalten und Luft schnappen konnte. Ich beruhigte mich langsam. Mein Brett war allerdings weit und breit nicht mehr zu sehen. Das bedeutete, für mich war die Session bereits vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Schlimmer noch: Ich würde die ganze Strecke zurück schwimmen müssen. So ein Upfuck! Man muss nämlich vielleicht dazu wissen, dass so eine Schwimm-Action in diesen Bedingungen beinhaltet, dass der Schwimmer sich in einem Bereich aufhält, in dem auch immer wieder Wellen brechen. Denn da, wo keine Wellen brechen, zieht ihn die Strömung wieder hinaus aufs Meer. Mir blieb also nichts anderes übrig, als eine Welle nach der anderen auf die Mütze zu kriegen und mich so richtig Strand spülen zu lassen. Die ganze Unternehmung dauerte ca. 1 Stunde und ich kam völlig entkräftet am Strand an. Von meinem Brett keine Spur und dabei blieb es auch. Was für ein Auftakt für meinen Trip.

Es wurde aber besser. Die nächsten Sessions fanden in Wellen statt, die schon eher meine Kragenweite hatten und ich kam wieder auf ein zufriedenstellendes Surf-Level. Die nächste Etappe rief und ich entschied mich, mit dem Pärchen nach Lakey Peak zu reisen. Dabei handelt es sich um eine sehr wellenreiche Gegend in Zentral-Sumbawa, zwei Inseln östlich von Bali.

Auch hier haben die Wellen ordentlich Karacho und ich kaufte mir extra ein neues Brett, um ihnen gewachsen zu sein. Dieses Mal verlor ich mein neues Brett nicht bereits bei der ersten Session … ich zerbrach es. Doch damit nicht genug. Während ich also noch mit einem halben Brett am Knöchel durch den Line-Up dümpelte, nahm mein Freund eine Set-Welle, die gar nicht mal so groß schien, aber – so stellte sich heraus – genug Power hatte, um ihm die Kniescheibe zu dislozieren. Was für ein Trip. Nun war es an mir, zu ihm zu schwimmen und ihm an Land zu helfen. Dies beinhaltete einen etwa 200 Meter langen Weg über ein scharfes, mit Seeigeln infiziertes Korallenriff. Nicht die leichteste Übung, wenn man wie mein Freund nur noch ein funktionierendes Bein hat und barfuß unterwegs ist. Wir schafften es zurück zu unserer Unterkunft ohne weitere Blessuren, aber der Surfteil des Trips war für meinen Freund vorbei.

Ich hielt mich ab diesem Zeitpunkt von den anspruchsvollen, kraftvollen Wellen fern, obwohl ich mir durchaus zugetraut hätte, auf ihnen den Wellenritt meines Lebens zu meistern. Aber das Risiko, mich ernsthaft zu verletzen, war mir einfach zu hoch. Die nächste halbwegs ordentliche medizinische Versorgung war mehrere hundert Kilometer entfernt und ich hatte genug Horror-Geschichten gehört. Ich surfte also eher die gemächlichen Wellen und hatte dennoch eine wahnsinnig gute Zeit. Zudem lernte ich immer mehr Locals und Ex-Pats kennen … und das hiesige Drogenproblem. Denn man muss wissen: Wo Surfer:innen sind, sind auch immer wahnsinnig viele Drogen. Der North Shore von Hawaii, Kalifornien, die Gold Coast in Australien, Süd-West Frankreich … die Liste könnte ich jetzt endlos weiterführen. Der Grund hierfür ist sicherlich, dass Surfer:innen Adrenalin-Junkies sind und durch ihren Sport ein etwas anderes Belohnungszentrum im präfrontalen Kortex haben als der Durchschnittsmensch. Der Ozean ist eine Diva und liefert nicht immer den Stoff, der nötig ist, um den Cocktail aus Dopamin/ Serotonin und Adrenalin auszuschütten. So orientieren sich viele Wellenreiter:innen an anderen Mittelchen, um sich ihren Kick zu holen. In Lakey Peak ist das: Crystal Meth. Wahnsinnig leicht herzustellen und extrem süchtig machend. Der auffälligste Junkie war ein französischer Koch und Surf-Camp-Besitzer. Bei ihm war die Sucht schon so weit fortgeschritten, dass er sich seine beiden Frontzähne per Meth-Pfeife weggeraucht hatte. Emotionale Zustände gab es bei ihm je nach Intoxikation nur zwei. Absolut unausstehliches Scheusal oder dein bester Freund der Welt. Aber das war nicht der einzige Abhängige. Ich erinnere mich an einen etwas älteren Kalifornier, der oft auffällig gut gelaunt und gesprächig war. Ich dachte mir zunächst noch: “Mei, Ami halt.” Jedoch teilten wir uns mit ihm ein Taxi zurück zum Flughafen und mussten mehrfach anhalten, weil er wegen Entzugserscheinungen kotzen musste. Nach der Landung in Denpasar sprintete er fast aus dem Flughafen und ließ sich zur nächsten Apotheke fahren. Im Rückblick war es schon richtig krass zu sehen, was eine Droge aus den Menschen an so einem paradiesischen Fleckchen Erde macht und ich fragte mich damals schon, warum unsere Spezies nicht einfach Schönheit genießen kann, ohne diese chemisch aufzuwerten.

Derweil machte mein Surfen immer weiter Fortschritte und mündete in einer Session, die ich meinen Lebtag nicht vergessen werde. Wir buchten dafür eines dieser indonesischen Fischerboote und ließen uns zu einem Spot fahren, der “Magic Point” hieß. Ich verstand zunächst immer “Matip Point”, aber das ist eine andere Geschichte. Auf dem Weg dorthin kackte der Motor unseres Bootes ab, ein anderes Boot wurde zu Hilfe gerufen und lieferte: eine Plastiktüte, mit der ein undichter Schlauch repariert wurde. Wir kamen an dem Spot an und die Wellen waren wirklich magic. Ewig lange, nach rechts brechende Wellen, kopfhoch und in etwa vergleichbar mit Lobos, einer Insel/ Welle vor Fuerteventura. Das Beste jedoch: Niemand war im Wasser. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht gesehen und es war fast schon etwas verdächtig. Das Ergebnis war, dass ich für knapp 4 Stunden der einzige Surfer im Wasser war und mehr Zeit auf der Welle verbrachte, als sonst in einem Monat an der Atlantikküste. Zwischenzeitlich sah ich nicht unweit von mir etwas im Wasser, das ich nicht definieren konnte. Eine Schildkröte? Ein großer Fisch? Ein Hai? Ich weiß es bis heute nicht. Es hielt mich jedenfalls nicht davon ab immer und immer wieder zurück zu paddeln und noch eine Welle zu nehmen und noch eine und noch eine und noch eine. So lange, bis ich schließlich komplett entkräftet zum Boot zurück paddelte. Auf dem Weg dorthin verspürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter, der immer stärker wurde. Die letzten Meter paddelte ich schließlich nur noch mit dem rechten Arm. Ich hatte es übertrieben und mir eine Surfer-Schulter eingefangen. Dabei handelt es sich um eine schmerzhafte Entzündung der Rotatoren-Manschette, auch Impingement genannt. Ich pausierte danach ein paar Tage und hoffte, danach wieder surfen zu können. Aber es brachte nichts. Weder in Lakey Peak, noch zurück in Bali schaffte ich es, auch nur 5 Meter zu paddeln. Dabei trafen in Bali nach und nach immer mehr Freunde und Freundinnen aus allen Ecken der Welt ein. Freunde von daheim, Weltreisende und in Bali studierende bildeten nach und nach eine wahnsinnig heterogene und schöne Crew, die täglich auf Wellenjagd ging. Und ich? Ich besorgte mir die härtesten Schmerzmittel, die es auf Bali zu kaufen gab und versuchte so, die letzten Tage vor meiner Abreise doch noch die eine oder andere Welle zu erwischen. Aber obwohl die Schmerzmittel wirklich außerordentlich stark waren, blieben die Schmerzen und ich musste vor Wut heulend am Strand zurückbleiben, während sich meine Freund:innen perfekte Wellen teilten und gegenseitig dabei feierten. Mit was hatte ich das nur verdient? Eine gute Woche lag ich also im Hotelzimmer und am Strand herum und bemitleidete mich. Zwei Tage vor meiner Abreise wurden die Wellen dann endlich-endlich schlechter und ich konnte meine Crew wenigstens dazu überzeugen das Nachtleben von Bali unsicher zu machen. Und hier beginnt erst die eigentliche Geschichte.

Es war ein Tag wie er so typisch ist für Bali. In der morgendlichen Luft lag der Duft von Räucherstäbchen und verbranntem Müll. Ich stand relativ früh auf. Die Tage zuvor hatte ich mich nochmal und nochmal und nochmal umgedreht, nachdem meine Freunde früh raus zum Surfen sind. Außer am Pool abhängen und zum Strand schlappen, hatte ich eh nix zu tun. An diesem Tag aber trieb es mich aus dem Bett. Der Grund für meine juvenile Bettflucht war im Endeffekt die Aussicht sich abends mit meinen Freunden ordentlich einen hinter die Binde zu kippen, die Rüstung zu verbeulen, den Helm zu lackieren, den Damm zu verbiebern, die Rinne zu verzinken, einen ins Toupet föhnen, kurz … sich gottlos zu betrinken. Nun muss man an dieser Stelle erwähnen, dass ich meine absolute Passion nutzlose, aber witzige Party-Gadgets sind. Wahrscheinlich werde ich es noch mit 90 witzig finden, wenn jemand eine kleine Mini-Hand am Zeigefinger stecken hat. Kuta mit seinen hunderten kleinen Ständen war (und ist) da natürlich ein Paradies für mich. Wobei ich mir die Tage zuvor immer wieder verboten hatte, diese Shopping-Tour zu machen. Ich kenne mich eben und oft sind dann Impuls-Käufe dabei, die ich wenig später bereue. Zudem wollte ich nicht allzu viel One-Trick-Pony-KrimsKrams zurück nach Deutschland schleppen. Auf meinen Streifzügen durch die Straßen Kutas die Tage zuvor hatte sich zu dem Zeitpunkt deshalb bereits eine Shopping-Liste herauskristallisiert, die ich jetzt nur noch abarbeiten musste. Auf ihr standen so Dinge wie ein Elektro-Taser, ein Laserpointer, mit dem man sich eine Kippe anzünden konnte, eine hochpotente Softgun, eine Brieftasche, aus der beim Öffnen eine Stichflamme schoss und noch ein paar andere Dinge, die man in Deutschland nicht zu kaufen kriegt, weil sie einfach schlichtweg gefährlich und/ oder illegal sind. Als ich meinen Rucksack eigentlich schon voll beladen hatte mit Teufelsspielzeug und ich auf dem Rückweg ins Appartment war, schwebte vor meiner Nase plötzlich eine Seifenblase. Ich konnte nicht widerstehen, zerschnippste sie und sah mich instinktiv nach der Quelle dieses kleinen, schillernden Wunders um. Ein alter, zahnloser Mann saß wenige Meter vor mir auf dem Boden und hielt eine Seifenblasenpistole in der Hand, mit der er unermüdlich hunderte Seifenblasen auf die Straße blies. Fand ich schon mal sympathisch. Als ich dann noch entdeckte, dass die Pistole blinkte und leuchtete, war es um mich geschehen. Die Gadget-Shoppingliste wurde spontan erweitert. Im Nachhinein entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass das mit Abstand ungefährlichste Spielzeug zu einer derartigen Eskalation führte, wie sie an diesem Abend noch geschehen sollte.

Besagter Abend begann bereits spätnachmittags mit vielen kühlen Bintangs am Pool. Meine Freunde waren mittlerweile auch party-motiviert und fast schon froh ihren über-paddelten Armen eine Pause gönnen zu dürfen. Als es langsam dunkel wurde, wechselten wir zu Longdrinks. Die Gespräche wurden immer ausgelassener, die Storys wilder, die Aussprache verwaschener und lauter. Man kennt es. Auch meine eingekauften Gadgets kamen gut an und trugen zu der ausgelassenen Stimmung bei. Der absolute Star war jedoch die Seifenblasenpistole, die im Akkord Blasen produzierte und jetzt in der Dunkelheit noch spektakulärer aussah’. Jeder wollte sie mal abfeuern.

Ich weiß noch, dass wir vor lauter Gequassel, Gegacker und Rumblödelei fast nicht mehr losgekommen wären. Im ungefähr fünften Anlauf schafften wir es aber doch. Im Schlepptau: Die Seifenblasenpistole. Wir hatten logischerweise gut Schlagseite, was uns aber nicht daran hinderte eine kleine Bar anzusteuern, deren USP war, dass dort ausnahmslos tablettweise Shots ausgeschenkt wurden. Ich glaube, es gab darin nicht einmal Stühle. Das Ergebnis: Der Promillepegel erhöhte sich immer weiter und noch mehr Seifenblasen schwebten durch den kleinen Raum. Der eine oder andere Shot hatte mittlerweile auch schon einen leicht seifigen Geschmack. Schließlich passierte, was passieren musste. Die Seifenblasenpistole ging zu Boden und zerbrach. Keine Lichter mehr. Keine Seifenblasen. In meinem angesoffenen Kopf natürlich eine Vollkatastrophe. Warum hatte ich sie auch aus der Hand gegeben? Doch so einfach gab ich nicht auf. Während meine Crew von ca 7-8 Leuten (mittlerweile waren noch ein paar Studentinnen dazu gestoßen) die nächste Bar ansteuerte, fragte ich irgendeinen Türsteher nach Klebeband und tatsächlich hatte der auch welches. Ich doktorte kurz an meiner Seifenblasenpistole herum und schaffte es tatsächlich, sie zu reparieren. Die Lichter blinken wieder fröhlich wie eh und je und die Seifenblasen blubberten fröhlich aus der Mündung. Also machte ich mich auf den Weg in die Bar, in die meine Leute vorangegangen waren. Das war nicht weit. Vielleicht 50 Meter. Auf diesem kurzen Weg wurde ich von einem Balinesen angesprochen. Wie alt er war? Schwer zu sagen. Irgendwas zwischen 20 – 40. Mir ist durchaus bewusst, dass es leicht rassistisch ist, sich über Asiaten und ihr schwer einzuschätzendes Alter lustig zu machen, aber es ist nunmal ein Fakt, dass es uns Westlern durchaus schwer fällt, da richtig zu liegen. Um der Story willen schätze ich den Balinesen jetzt aber mal auf 25. Zudem war er recht, naja, vollschlank und eindeutig auch nicht mehr nüchtern. Wir unterhielten uns zunächst ganz angeregt, wie sich eben zwei Trunkenbolde so unterhalten, die einen unterschiedlichen kulturellen Background haben und nicht dieselbe Muttersprache sprechen. Durchaus nett und zugewandt, aber schon auch ziemlich aneinander vorbei. Kurz bevor wir an der entsprechenden Bar angelangt waren, begriff ich auch, was er eigentlich von mir wollte: Natürlich meine Seifenblasenpistole. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass ich sie ihm nicht geben würde, weil ich sie gerade selber erst repariert hatte, und Angst hatte, dass sie wieder kaputt gehen würde. Ich nahm an, dass die Diskussion damit erledigt sein würde. War sie aber nicht. Im Gegenteil. Als ich in die Bar ging, lief mir der mollige Local hinterher und wollte immer noch die Seifenblasenpistole. Die Bar war winzig und länglich. Meine Crew befand sich im hinteren Teil. Ich musste mich also an allerlei Gästen vorbeiquetschen, um zu ihnen zu gelangen … und der kleine, fette Balinese quetschte sich hinterher. Mittlerweile versuchte er schon, mir die Seifenblasenpistole aus der Hand zu reißen, was ihm natürlich nicht gelang, weil ich einfach mal 2 Köpfe größer war als er. Dennoch begann er langsam aber sicher mich zu nerven. Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihm die Pistole nicht geben würde und sogar noch einen – für mich – recht nachvollziehbaren Grund genannt. No means No. Nachdem er im Gedränge wieder einen Versuch startete, mir die Pistole zu entwinden, reichte es mir. Ich schubste ihn von mir weg und sagte: “No bubble-guns for little fat kids!”

Hui, war das ein Fehler. Denn der Local explodierte förmlich. Eine Kaskade aus unverständlichen Worten und Wortfetzen ergoss sich über mich und ich dachte, dass es jetzt jeden Moment zu einer Schlägerei kommen würde. Doch das war absurd. Der Typ war viel kleiner und um einiges unsportlicher als ich. Auch wenn ich alles andere als ein guter Barfighter bin, wäre das ein absolutes Mismatch gewesen. Außerdem hatte ich wirklich keinen Bock darauf, mich in diesem engen Laden mit einem Local zu prügeln. Ich rief also einen Freund von mir hinzu, der einerseits eine sehr ruhige Art hatte, und andererseits von beeindruckender Physis war. Bei seinem Anblick – da war ich mir sicher – würde sich die Situation deutlich entspannen. Aber der kleine, dicke Balinese redete auch auf ihn ohne Punkt und Komma ein und mein Freund meinte danach, er habe wirklich gar nicht verstanden, um was es gehe. So blieb ihm nichts weiter übrig, als sich den Monolog anzuhören und eine gewisse Art von Verständnis vorzutäuschen, indem er ab und zu verständnisvoll nickte. Er machte das gut und ich hatte das Gefühl, endlich aus der unangenehmen Situation heraus zu sein. Ich drehte mich also weg und widmete mich weniger nervigen Dingen. Auch meinem Freund wurde es irgendwann zu blöd und er drehte sich weg. Dann passierte es und ich sah es wirklich Nullkommanull kommen. Der Balinese schnappte sich eine Bierflasche von der Bar und zimmerte sie mir von schräg hinten ins Gesicht. Alles, was ich in dem Moment bemerkte, war ein dumpfer Schlag. An einen stechenden Schmerz oder Ähnliches kann ich mich nicht erinnern. Ich verstand nicht, was los war. Erst der erschrockene Blick der umstehenden Menschen machte mir klar, dass etwas Schlimmes passiert war. Irgendwie sah ich auch nicht mehr so gut. Ich fasste mir ins Gesicht und dann merkte ich, dass ich blutete … und das nicht gerade wenig. Alle Freunde und Freundinnen um mich herum waren sofort in Alarmbereitschaft. Mein großer Freund, der gerade noch mit dem Balinesen “diskutiert” hatte, sah sich sofort nach dem Täter um. Aber der war bereits über alle Reisfelder. Er ging zu einem Security, doch der schien sich nicht sonderlich für derlei Kinderkram zu interessieren. Irgendwer reichte mir eine Serviette, die ich innerhalb von Sekunden vollgeblutet hatte. Dann noch mehr Servietten … viel mehr. Alkohol verdünnt das Blut und in der Folge bluten Wunden umso mehr. Das konnte ich jetzt aus erster Hand erfahren. Es war sofort klar, dass für diese Art von Verletzung nur ein Krankenhaus in Frage kam: Das Bali International Hospital oder auch BIMC. Nur musste ich da auch irgendwie hinkommen. Sanka war keine Option. Wir warteten also vor der Bar auf ein Taxi, aber natürlich wollte niemand einen blutüberströmten Touristen mitnehmen. Während wir versuchten, doch einen Taxifahrer mit Herz (oder zumindest Geschäftssinn) zu erwischen, versuchte mein Diskutier-Freund solange sein Glück bei der Tourist-Police, bei der man eigentlich davon ausgehen konnte, dass sie sich um derlei Vorfälle kümmert. Eigentlich. Von dieser ominösen Polizei-Einheit kam zwar auch wer, aber alles, was der Officer machte, war, sich mit einem der Türsteher zu unterhalten, einen coolen Handshake mit ihm zu machen und sich wieder zu trollen.

An diesen Zeitraum kann ich mich, wenn ich ganz ehrlich bin, nur noch sehr schemenhaft erinnern. Ich stand natürlich unter Schock und war nicht zu knapp alkoholisiert. Ich bekam gar nicht mehr mit, dass ich plötzlich ein sauberes schwarzes Shirt anhatte und in einem Taxi saß.

Ein Taxifahrer hatte sich wohl für das dreifache des normalen Preises erbarmt.

Der Service im BIMC war hervorragend. Denn die Ärzte und Schwestern in dem Krankenhaus sahen sich tatsächlich als Dienstleister – mit all seinen Vor- und Nachteilen. Natürlich musste da erstmal eine ordentliche Kaution hinterlegt werden, weil ja zunächst mal nicht klar war, wie gut ich versichert bin und ob die Versicherung für die ganzen Kosten aufkommt. Ein Freund sprang ein, weil wahrscheinlich mein Kreditrahmen gar nicht gerreicht hätte. Als das geklärt war, lief eigentlich alles ganz gemütlich. Der diensthabende Arzt (ich schätzte ihn auf 19) säuberte sehr sorgfältig alle meine Wunden und nähte meine komplett offene Augenbraue. Als es allerdings daran ging, meine Wange zu nähen, hielt er inne und machte nicht weiter. “Too many muscles, too many nerves damaged. You need plastic surgeon.” Ok, toll, ich brauchte einen plastischen Chirurgen. Mir wurde dann erklärt, dass sie einen solchen hier im Krankenhaus nicht fix da hatten. War vermutlich nicht wirtschaftlich genug. Äh, ok. Und jetzt? Sie würden einen aus Singapur einfliegen lassen, vorausgesetzt meine Versicherung schickt eine Kostenübernahme. Aaalles klar. Ich wurde in ein Krankenzimmer geschoben, ordentlich mit Schmerzmitteln versehen und verbrachte daraufhin die nächsten 12 Stunden damit, am lebendigen Leib auszunüchtern, mich in Selbstmitleid zu suhlen, meine Schmerzmittel-Dosis zu erhöhen, immer und immer wieder mit meiner Versicherung zu telefonieren und zu versuchen nicht einzuschlafen, obwohl ich nicht mehr wollte als das. Was ein Zustand. Wenigstens schien meinem Auge nichts zu fehlen. Da weiß man, warum Augen in einer Augenhöhle sind … und warum es 2 davon gibt.

Aber: Das Zeitfenster, in dem man eine Wunde wie meine nähen konnte, war ca. 24 Stunden. Danach- so hatte ich die sehr lebhafte Vision in meinem Krankenbett – würde ich unweigerlich zum Quasimodo werden. Dazwischen kam immer wieder eine balinesische Krankenschwester herein – komplett blau gekleidet und mit blauen Kontaktlinsen, was mir fast komplett den Rest gab. Es war einfach alles zu surreal.

Es ging aber alles gut und ca. 23 Stunden nach meinem Seifenblasenvorfall wurde ich in den OP geschoben, narkotisiert und 3 Stunden später wachte ich vollkommen belämmert wieder auf. Der Chirurg sah sich wenig später sein Werk nochmal an und ich fragte ihn, was man als echter Mann in so einer Situation immer fragt: “Wie viele Stiche?” Aber seine Antwort war keine Zahl. Er meinte nur lapidar: “Too many too count.” Der Mann hatte allerdings echt ganze Arbeit geleistet. Erst Jahre später, als sich meine Lachfalten immer tiefer in mein Gesicht gruben, merkte ich, dass er doch tatsächlich eine Narbe so genäht hatte, dass sie fließend in eine Lachfalte übergeht.

Nach 3 Tagen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und hatte natürlich meinen Rückflug verpasst. Aber ich hatte nochmal ein paar Tage mehr auf Bali zur Verfügung. Immerhin. War auch eine spannende Zeit, in der ich wirklich viele Geschichten wie meine und noch deutlich krassere zu hören bekam. Meine Narbe zog diese Geschichten ganz einfach an. So wie das Ganze gelaufen war und die wirklich verblüffende Passivität von Türstehern und Tourist Police, ließ mich zu dem Schluss kommen, dass ich an eine Art Sohn eines Mafia Bosses geraten war. Diese mafiösen Strukturen entstanden auf Bali wohl nach den Terroranschlägen von 2002, in deren Folge sich eine Bürgerwehr bildete, deren Sinn und Zweck zunächst einmal die Sicherung des touristischen Alltags auf Bali war. Aber wie es oft mit so Organisationen ist: Aus einem noblen Grund entstanden, aber dann doch korrumpiert. In einem der korruptesten Ländern der Welt eine Frage der Zeit. Jedenfalls schien ich an einen der Söhne eines hohen Bosses geraten zu sein. Dafür sprach auch, dass um meinen Seifenblasen-Fanboy mehrere finstere Typen mit Gesichtstattoos geflattert sind, die ich im Moment der Konfrontation gar nicht wahrgenommen habe, aber als ich so in meinem speziellen Zustand im Krankenbett lag, fielen die mir wieder ein. Und als ich dann während meiner Extra-Tage auf Bali Geschichten von Leuten hörte, die vom Balkon eines Clubs geschmissen wurden, oder (wegen einer Verwechslung) aufm Pissoir eines Clubs mit einer Machete geköpft oder einfach nur mit einem Messer zusammen-gestochen wurden, da kam mir mein Erklärungsansatz, dass ich einfach nur ein Mafia-Söhnchen mit Komplexen, das kein “Nein” verträgt, irgendwie die logischste Version zu sein. Wenn ich aber ehrlich bin, ist die Erklärung für den Vorfall viel einfacher, beinhaltet allerdings keine Mafia und nicht mal mafiöse Strukturen. Ein besoffener Westler benimmt sich einem Local gegenüber dispektierlich, der schon sehr viel Scheiße von Westlern einstecken musste. Der berühmte Tropfen und das Fass. Wenn dann noch ein eh schon sehr unglücklicher Surftrip dazu kommt: Perfect Storm.

Schlussendlich war ich froh, dass ich von dieser Insel herunter und aus diesem Land heraus war.

Ich sollte Jahre später zurückkehren und einen der besten Surftrips meines Lebens haben, mit Wellen wie aus einem Traum und einem perfekten Flow. Indo nimmt. Indo gibt. Damals 2012 hat es viel genommen, aber mir auch diese Geschichte gegeben. Für euch.